Warum Misogynisten gute Informanten sind

2010
Contents
Duits • EngelsFransSpaans
History

Original text in English
Why Misogynists Make Great Informants
Courtney Desiree Morris
2010
truthout.org

German translation
de.indymedia.org

Anmerkung des Übersetzers: Wir fanden gute Hinweise zum Thema Verrat und Patriachat darin und haben die Broschüre deshalb übersetzt. Zu beachten ist der US-amerikanische Politkontext, den die Autorin als Grundlage nimmt. Sie beschreibt Politmilieus, die Organizing-Ansätze verfolgen und nicht so weiß dominiert sind, wie in Deutschland. Ergänzende Einordnungen erfolgen via Fußnoten.

Einleitung

Wie geschlechtsspezifische Gewalt in der gesellschaftlichen Linken staatliche Gewalt in radikalen Bewegungen ermöglicht.

Im Januar 2009 erfuhren Aktivist*innen in Austin, Texas, dass einer von ihnen, ein weißer Aktivist namens Brandon Darby, als FBI[1]-Informant Gruppen infiltriert hatte, die gegen die Republican National Convention (RNC)[2] protestierten. Darby gab später zu, bei Planungstreffen und während des Kongresses Aufnahmegeräte getragen zu haben.

Darby sagte im Februar 2009 im Namen der Regierung im Prozess gegen zwei texanische Aktivisten aus, die auf dem RNC wegen der Herstellung und des Besitzes von Molotow-Cocktails verhaftet wurden, nachdem Darby sie dazu aufgefordert hatte. Den beiden jungen Männern, David McKay und Bradley Crowder, drohten jeweils bis zu fünfzehn Jahre Gefängnis. Crowder akzeptierte einen Vergleich, der ihm eine dreijährige Haftstrafe in einem Bundesgefängnis einbrachte; McKay bekannte sich unter dem Druck der Bundesstaatsanwaltschaft ebenfalls schuldig, im Besitz von „nicht registrierten Molotow-Cocktails” gewesen zu sein, und wurde zu vier Jahren Haft verurteilt. Die von Darby gesammelten Informationen könnten auch zum Verfahren gegen die „RNC 8” beigetragen haben, Aktivist*innen aus dem ganzen Land, die wegen „Verschwörung zum Aufruhr und Verschwörung zur Beschädigung von Eigentum zur Förderung des Terrorismus” angeklagt sind. Die Aktivist*innen in Austin waren besonders fassungslos über die Enthüllung, dass Darby als Informant gedient hatte, weil er an verschiedenen linken Projekten beteiligt war und eine führende Rolle bei Common Ground Relief (CGR) spielte, einer in New Orleans ansässigen Organisation, die sich für die kurzfristigen Bedürfnisse von Gemeindemitgliedern einsetzt, die durch Naturkatastrophen in der Golfküstenregion vertrieben wurden, und die sich für den Wiederaufbau der Region einsetzt und den Katrina[3]-Evakuierten das Recht auf Rückkehr sichert.

Ich war überrascht, aber nicht schockiert von dieser Nachricht. Als Studentin an der University of Texas hatte ich erfahren, dass die Campus-Polizei routinemäßig Polizeibeamt*innen in zivil zu den Treffen radikaler Studierendengruppen schickte — einfach, um sie im Auge zu behalten. Das war im Herbst 2001. Wir erlebten die Gründung des Ministeriums für Innere Sicherheit[4], sahen zu, wie ein Cowboy-Präsident einen Krieg gegen den Terror führte[5], und versuchten zu überlegen, was wir tun könnten, um den faschistischen Staatsumbau, der sich vor unseren Augen abspielte, zu bekämpfen. Damals kam es uns allerdings albern vor, dass bei unseren Treffen Polizist*innen anwesend waren — wir waren nicht die Panther, die Brown Berets oder rabiatere Globalisierungsgegner*innen auf dem Campus (obwohl wir sie alle bewunderten); wir waren einfach junge Leute, die nicht glaubten, dass Krieg die beste Antwort auf die Anschläge vom 11. September 2001 war. Aber es war nicht albern; das FBI schaut über politische Arbeit nicht einfach hinweg. Jede Organisation, sei sie groß oder klein, kann die Aufmerksamkeit des Staates auf sich ziehen. Vielleicht stellt ihre Organisation eine große Bedrohung dar, vielleicht sind sie jetzt noch klein, aber eines Tages werden sie so groß sein, dass sie nicht mehr zu bändigen sind. Der Staat entscheidet sich in der Regel dafür, die Bewegung zu töten, bevor sie wächst.

Und Informant*innen und Provokateur*innen sind die Auftragskiller des Staates. Die Behörden wählen Leute aus, die niemandem auffallen werden. Oft ist es unmöglich zu beweisen, dass es sich um Informant*innen handelt, weil sie sich scheinbar ganz der sozialen Gerechtigkeit verschrieben haben. Sie gehen intime Beziehungen zu Aktivist*innen ein, werden zu Freund*innen und Liebhaber*innen und übernehmen oft Führungsaufgaben in Organisationen. Bereits eine flüchtige Lektüre der Literatur über soziale Bewegungen und Organisationen in den 1960er und 1970er Jahren zeigt diese Tatsache. In der Führung der amerikanischen Indigenenbewegung wimmelte es von Informant*innen; es wird vermutet, dass Informant*innen auch weitgehend für den Niedergang der Black Panther Party verantwortlich waren, und dasselbe lässt sich über die Antikriegsbewegung der 1960er und 1970er Jahre vermuten. Es überrascht nicht, dass diese Bewegungen, die von Informant*innen und Provokateur*innen zu Fall gebracht wurden, auch Orte waren, an denen Frauen und Queer-Aktivist*innen oft intensive geschlechtsspezifische Gewalt erlebten, wie die Autobiografien von Aktivistinnen wie Assata Shakur, Elaine Brown und Roxanne Dunbar-Ortiz zeigen.

Vielleicht liegt es nicht daran, dass Informant*innen schwer zu erkennen sind, sondern daran, dass wir kollektiv die Zeichen ignoriert haben, die sie verraten. Um unsere Bewegungen zu retten, müssen wir uns mit den Zusammenhängen zwischen geschlechtsspezifischer Gewalt, männlichem Privileg und den Strategien auseinandersetzen, die Informant*innen (und Menschen, die sich einfach wie sie verhalten) einsetzen, um radikale Bewegungen zu destabilisieren. Immer wieder ist es heterosexuellen Männern in radikalen Bewegungen gelungen, ihre Privilegien durchzusetzen und andere unterzuordnen. Trotz aller gegenteiligen Behauptungen ist es eine Tatsache, dass radikale soziale Bewegungen und Organisationen in den Vereinigten Staaten sich geweigert haben, geschlechtsspezifische Gewalt[6] als Bedrohung für das Überleben unserer Kämpfe ernsthaft anzugehen. Wir haben Frauenfeindlichkeit, Homofeindlichkeit und Heterosexismus als kleinere Übel — als zweitrangige Probleme — behandelt, die sich irgendwann von selbst erledigen oder in den Hintergrund treten werden, sobald die „echten” Probleme — Rassismus, Polizei, Klassenungleichheit, US-Angriffskriege — gelöst sind. Die Entscheidung für Ignoranz hat ernste Konsequenzen. Frauen- und Homofeindlichkeit sind von zentraler Bedeutung für die Reproduktion von Gewalt in radikalen Aktivist*innengemeinschaften. Kratze an einem Frauenfeind und du wirst einen homofeindlichen Menschen finden. Kratzt man etwas tiefer, findet man vielleicht das Zeug zu einem zukünftigen Informanten (oder jemandem, der Bewegungen einfach nur destabilisiert, wie es Informanten tun).

Das Zeug zu einem Informanten: Brandon Darby und Common Ground

Bei Democracy Now! sprach Malik Rahim, ehemaliger Black Panther und Mitbegründer von Common Ground in New Orleans, darüber, wie erschüttert er von Darbys Enthüllung war, ein FBI-Informant gewesen zu sein. Mehrmals erklärte er, dass es ihm das Herz gebrochen habe. Er beklagte vor allem all die „jungen Damen”, die Common Ground als Folge von Darbys herrschsüchtigem, aggressivem Organisationsstil verlassen hatten. Aber als diese „jungen Damen” sich beschwert hatten? Nun, ihre Bedenken stießen wahrscheinlich auf wohlwollende, aber letztlich unempfängliche Ohren — alles mag wahr gewesen sein, und im Nachhinein gibt jeder zu, wie störend Darby war, der schnell gewalttätige, schlecht durchdachte direkte Aktionspläne vorschlug, die jeden gefährdeten, mit dem er arbeitete. Es gab sogar Behauptungen, dass Darby Organisatorinnen bei Common Ground sexuell angegriffen hatte und sich generell abweisend gegenüber Frauen verhielt, die in der Organisation arbeiteten[7]. Darby schuf Konflikte in allen Organisationen, mit denen er arbeitete, doch die Leute zögerten, ihn wegen seiner Geschichte und seines Rufs als Organisator und seiner „Hingabe” an „die Arbeit” zur Verantwortung zu ziehen. Die Leute verteidigten ihn tatsächlich so lange, bis er sich als FBI-Informant outete. Sogar Rahim entschied sich trotz all seiner Schuldgefühle und Ängste dafür, Darby die Leitung von Common Ground zu überlassen, obwohl jedes Mal, wenn es in der Organisation einen Konflikt gab, Darby darin verwickelt zu sein schien.

Wenn wir als Organisator*innen die kollektive Rechenschaftspflicht im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischer Gewalt zu einem zentralen Bestandteil unserer Praxis machen würden, könnten wir vielleicht Menschen neutralisieren, die im Auftrag des Staates daran arbeiten, unsere Kämpfe zu untergraben. Ich spreche nicht von Hexenjagden; ich spreche davon, uns so zu organisieren, dass wir einen potenziellen Brandon Darby im Keim ersticken, bevor er mehr Menschen verletzen kann. Informant*innen sind schwer auszumachen, aber ich vermute, dass dort wo Rauch ist, auch Feuer ist. Jemand, der überall wo er hinkommt Chaos verursacht, ist entweder ein*e Informant*in oder eine unverantwortliche, unberechenbare Zeitbombe, die unbeabsichtigt genauso effektiv sein kann, wenn es darum geht die Organisierung sozialer Gerechtigkeit zu untergraben. Letztlich verrichten beide die Arbeit des Staates und müssen zur Rechenschaft gezogen werden.

Ein kurzer historischer Rückblick auf geschlechtsspezifische Gewalt in radikalen Bewegungen

Ein Rückblick auf die radikalen Organisationen und sozialen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre liefert einen wichtigen historischen Kontext für diese Diskussion. Die Erinnerungen von Frauen, die aktiv an diesen Kämpfen beteiligt waren, zeigen, wie weit verbreitet die Toleranz (und in einigen Fällen die Befürwortung) von geschlechtsspezifischer Gewalt war. Angela Davis, Assata Shakur und Elaine Brown, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Black Panther Party (BPP) organisiert waren, nannten Sexismus und die Ausbeutung von Frauen (und ihrer Organisationsarbeit) in der BPP als einen ihrer Hauptgründe für den Austritt aus der Gruppe (im Fall von Brown und Shakur) oder für ihre Weigerung, jemals offiziell beizutreten (im Fall von Davis). Obwohl von Frauen oft erwartet wurde, dass sie erhebliche persönliche Opfer brachten um die Bewegung zu unterstützen, gab es für Frauen, die von männlichen Genossen schikaniert wurden, keine Unterstützung oder Möglichkeiten, Wiedergutmachung zu erhalten. Ob es nun BPP-Organisatoren waren, die die Tatsache ignorierten, dass Eldridge Cleaver seine Frau, die bekannte Aktivistin Kathleen Cleaver, schlug, Männer, die Frauen zum Sex zwangen, oder einfach Männer, die Organisatorinnen als untergeordnete sexuelle Spielzeuge behandelten — die BPP und ähnliche Organisationen neigten dazu, die zersetzenden Auswirkungen geschlechtsspezifischer Gewalt auf den Befreiungskampf nicht ernst zu nehmen. In vielerlei Hinsicht hat Elaine Browns Autobiografie, „A Taste of Power: A Black Woman's Story”, die hässliche Realität der Frauenfeindlichkeit in der Bewegung und die verschiedenen Wege, auf denen sowohl Männer als auch Frauen männliche Privilegien und geschlechtsspezifische Gewalt in diesen Organisationen reproduzierten und verstärkten, am deutlichsten aufgezeigt. Ihre Erfahrung als einzige Frau an der Spitze der BPP hat sie nicht von der brutalen Frauenfeindlichkeit der Organisation befreit. Sie berichtet, dass sie von verschiedenen männlichen Genossen (darunter Huey Newton) angegriffen und von Eldridge Cleaver geschlagen und terrorisiert wurde, der ihr während einer Delegation nach China drohte, sie „in Algerien zu begraben”. Ihre Biografie zeigt deutlicher als die von Davis oder Shakur, wie das maskulinistische Auftreten der BPP (und im weiteren Sinne vieler radikaler Organisationen jener Zeit) eine Kultur der Gewalt und Frauenfeindlichkeit schuf, die sich letztlich als das Verhängnis der Organisation herausstellte.

Diese Erzählungen entmystifizieren das Erbe der geschlechtsspezifischen Gewalt in genau den Organisationen, zu denen viele von uns aufschauen. Sie zeigen, wie Frauenfeindlichkeit in diesen Räumen normalisiert wurde, als „persönlich” abgetan oder als nicht so wichtig wie die ernsthafteren Kämpfe gegen Rassismus oder Klassenungleichheit. Geschlechtsspezifische Gewalt war historisch tief in der politischen Praxis der Linken verankert und stellte eine der größten (wenn auch weitgehend uneingestandenen) Bedrohungen für das Überleben dieser Organisationen dar. Wenn wir jedoch der Arbeit von Davis, Shakur, Brown und anderen Beachtung schenken, können wir die Fehler der Vergangenheit vermeiden und andere Arten von politischer Gemeinschaft schaffen.

Die rassistische Politik der geschlechtsspezifischen Gewalt

Rassifizerung verkompliziert die Art und Weise, in der sich geschlechtsspezifische Gewalt in unseren Gemeinschaften entfaltet. In „Looking for Common Ground: Relief Work in Post-Katrina New Orleans as an American Parable of Race and Gender Violence” (Auf der Suche nach Common Ground: Hilfsarbeit in New Orleans nach Katrina als amerikanisches Gleichnis für Race- und Geschlechtergewalt) untersucht Rachel Luft das beunruhigende Muster sexueller Übergriffe auf weiße weibliche Freiwillige durch weiße männliche Freiwillige, die 2006 im Upper Ninth Ward Wiederaufbauarbeit leisteten. Sie zeigt auf, wie Common Ground es versäumte, die Übergriffe weißer Männer auf ihre Mitorganisatorinnen zu thematisieren und stattdessen die Schuld auf die umliegende schwarze Gemeinschaft schob und weiße Aktivistinnen warnte, dass sie vorsichtig sein müssten, weil New Orleans ein gefährlicher Ort sei. Letztlich erwies es sich als einfacher, schwarze Männer aus der Nachbarschaft zu kriminalisieren, als anzuerkennen, dass weiße Frauen und Transgender-Organisator*innen am ehesten von weißen Männern angegriffen wurden, mit denen sie zusammenarbeiteten. In einem Fall wurde ein weißer männlicher Freiwilliger erst der Polizei übergeben, nachdem er innerhalb einer Woche mindestens drei Frauen sexuell missbraucht hatte. Das Privileg, das weiße Männer in Common Ground genossen, einer Organisation, die sich angeblich antirassistisch einsetzte, bedeutete, dass sie gegenüber Frauen und Queer-Aktivist*innen gewalttätig sein konnten, destruktives Verhalten an den Tag legen konnten, das die Arbeit der Organisation untergrub, und dabei wussten, dass die Bewegung sie nicht in der gleichen Weise zur Rechenschaft ziehen würde wie die schwarzen Männer in der Gemeinde, in der sie arbeiteten.

Natürlich ist das männliche Privileg nicht einheitlich — weiße und BIPOC Männer sind ungleiche Teilnehmer und Nutznießer des Patriarchats, obwohl sie beide geschlechtsspezifische Gewalt reproduzieren können und dies auch tun. Diese Ungleichheit in der Verteilung der Vorteile des Patriarchats geht auch an Frauen- und Queer-Organisator*innen nicht vorbei, wenn wir versuchen, BIPOC Männer zu konfrontieren, die in unseren Gemeinschaften geschlechtsspezifische Gewalt ausüben. Wir machen uns oft Sorgen darüber, dass wir bestimmte Arten rassistischer Gewalt reproduzieren, die sich unverhältnismäßig stark gegen BIPOC Männer richten. Es widerstrebt uns verständlicherweise, die Polizei zu rufen, den Staat in irgendeiner Weise einzuschalten oder BIPOC Männer der Gnade eines historisch rassistischen Straf(un)rechtssystems auszuliefern; dennoch treten unsere Gemeinschaften (politisch und anderweitig) oft nicht auf, um in unserem Namen Gerechtigkeit zu fordern. Wir fühlen uns nicht wohl dabei, mit Therapeut*innen zu sprechen, die nur Stereotypen darüber bestätigen, wie abgefuckt und außergewöhnlich gewalttätig unsere Gemeinschaften sind. Die Linke bietet oft noch weniger Unterstützung. Unsere Viktimisierung ist bedauerlich, problematisch, aber letztlich weniger wichtig für „die Arbeit” als die rassifizierten Männer, die geschlechtsspezifische Gewalt in unseren Gemeinschaften reproduzieren.

Misogynie in der Linken: Eine persönliche Reflexion

In der ersten Community-Gruppe, in der ich aktiv mitarbeitete, begegnete ich einem Ausmaß an Frauenfeindlichkeit[8], das ich mir in einer Organisation, die eigentlich eine radikale People-of-Color-Organisation sein sollte, nie hätte vorstellen können. Ich hatte eine sexuelle/romantische Beziehung zu einem älteren Chicano-Aktivisten in der Gruppe. Ich war neunzehn, eine unerfahrene junge schwarze Aktivistin, er war dreißig. Er bat mich, unsere Beziehung geheim zu halten, und ich willigte widerwillig ein. Später, als er die Beziehung beendete und ich von Depressionen geplagt war, fand ich heraus, dass er mit mindestens zwei anderen Frauen geschlafen hatte, während wir zusammen waren. Eine davon war eine Freundin von mir, eine andere junge Frau, mit der wir etwas organisierten. Sie wusste nichts von unserer Beziehung, die er ihr verschwiegen hatte, und schlief mit ihm, bis er verschwand und sich weigerte, ihre Anrufe zu beantworten oder das abrupte Ende ihrer Beziehung zu erklären. Nachdem sie und ich unsere Erfahrungen ausgetauscht hatten, begannen wir, uns mit anderen Frauen auszutauschen, die diesen Mann kannten und mit ihm etwas organisiert hatten.

Wir hörten von den Frauen, die eine Chican@[9]-Studierendengruppe verlassen hatten und nie mehr zurückkamen, nachdem seine Lügen und Geheimnisse aufflogen, während die Gruppe an einer zapatistischen Aktion in Mexiko-Stadt teilnahm. Die queere, radikale, weiße Organisatorin, die Austin verließ, um seinem Missbrauch zu entkommen. Eine andere weiße Frau, eine Sozialarbeiterin, die dachte, sie könnten heiraten, nur um eines Abends in seine Wohnung zu kommen und mich dort vorzufinden. Und dann waren da noch die, die nach mir kamen. Ich habe mich immer gefragt, ob sie wussten, wer er wirklich war. Die Frauen, mit denen er ausging, waren erstaunliche, schöne, tolle, radikale Frauen, die er als Schutzschild benutzte, um an Orte zu gelangen, von denen er wusste, dass sie für einen solchen Frauenfeind niemals offen sein würden. Ich meine, wenn diese coole Frau, die in Chiapas arbeitete, Spanisch sprach und mit Einwanderer*innen ohne Papiere arbeitete, mit ihm zusammen war, dann muss er doch toll sein, oder? Falsch.

Aber seine Frauenfeindlichkeit endete nicht dort; sie spiegelte sich auch in seinem Organisationsstil wider. In Sitzungen sprach er immer am lautesten und am längsten und verwendete einen akademischen Jargon, der jede Diskussion komplexer machte als nötig. Die akademische Sprache schüchterte Menschen ein, die weniger gebildet waren als er, denn er schien mehr über radikale Politik zu wissen als alle anderen. Er redete auf andere Männer in der Gruppe ein, vor allem auf diejenigen, die er für weniger intelligent hielt als ihn, was im Grunde alle waren. Dann schaltete er einen Gang zurück, entschuldigte sich dafür, dass er den Raum dominierte, und räumte ein, dass er sein männliches Privileg checken müsse. Ironischerweise täuschte er Unwissenheit vor, wenn ihn die Leute auf seinen Scheiß ansprachen — was sollten sie auch meinen, wenn sie sagten, sein Verhalten sei maskulinistisch und sexistisch? Er beklagte sich darüber, dass er infantilisiert wurde, und weigerte sich zu sehen, wie er die Leute die ganze Zeit infantilisierte. Die Tatsache, dass er ein BIPOC Mann war, der gute Reden über Rassismus und den antirassistischen Kampf halten konnte, verdeckte sein missbräuchliches Verhalten sowohl in radikalen Organisationen als auch in seinen persönlichen Beziehungen. Eine seiner ehemaligen Partnerinnen erzählte mir: „Seine radikale Analyse erlaubte es den Menschen (meist Männern, aber gelegentlich auch Frauen), ihm zu verzeihen, dass er in seinen Beziehungen dominierend und missbräuchlich war. Frauen mussten ihre Kritik an seinem Verhalten an der Tür abgeben, damit wir nicht einen BIPOC Mann in der Bewegung verlieren.” Einer der Gründe, warum es so schwierig ist, BIPOC Männer für die Reproduktion geschlechtsspezifischer Gewalt zur Rechenschaft zu ziehen, ist, dass BIPOC Frauen und weiße Aktivistinnen weiterhin in der Vorstellung verhaftet sind, dass BIPOC Männer es schwerer haben als alle anderen. Wie kann man jemanden zur Rechenschaft ziehen, wenn man glaubt, er sei das Ziel Nummer eins für den Staat?

Leider war er nicht der einzige Mann dieser Art, dem ich in radikalen Kreisen begegnet bin — nur einer der klügeren. Wenn ich mir alte E-Mails ansehe, bin ich schockiert, wie viele E-Mails von Männern, mit denen ich mich organisiert habe, in Ton und Inhalt beleidigend waren und wie schnell sie andere wegen kleinerer Fehler schlecht machten. Noch überraschter bin ich über meine sanftmütigen, diplomatischen Antworten — wie eine Überlebende von Missbrauch — als ich versuchte, Compañeros zu beschwichtigen, die nichts dabei fanden, ihre Partner*innen, Freund*innen und andere Organisator*innen anzuschreien. Solche Männer gab es in verschiedenen Organisationen, mit denen ich zusammenarbeitete. Der eine, der seine Freundin vor einer Gruppe BIPOC Jugendlicher während eines Sommer-Encoentros, das wir veranstalteten, als Schlampe bezeichnete. Derjenige, der ein queeres Chicana-Paar während einer Reise nach Mexiko sexuell belästigte und versuchte, sie zu einem Dreier zu drängen. Die Jungs, die sagten, sie würden eine Aufgabe erledigen, es aber nicht taten; die Forderungen ihrer Compañeras nach Rechenschaft abtaten: Frauen die Aufgabe übernehmen ließen und dann, als sie fertig waren, den ganzen Ruhm für die harte Arbeit der anderen einheimsten. Der Doktorand, der seine Partnerin schlug — jeder wusste, dass er es getan hatte, aber immer wenn jemand nachfragte, schauten die Leute nur beschämt und verlegen und murmelten: „Es ist kompliziert.” Diejenigen, die sich ständig über queere Menschen lustig machten, sogar über die, mit denen sie sich organisiert hatten. Vor allem derjenige, der es für einen revolutionären Akt hielt, „all diese Sch******** zu töten, diese N****, die unsere Kinder, unsere Häuser, unsere Welt und unser Leben kaputt machen!” Derjenige, der dich in einer Sitzung niederbrüllt oder dir sagt, dass du keine Feministin sein kannst, weil du zu hübsch bist. Oder der, der dachte, Homosexualität sei eine Krankheit aus Europa.

Ja, dieser Typ.

Die meisten dieser Typen waren wahrscheinlich keine Informanten. Was schade ist, denn das bedeutet, dass sie keinen Cent für ihre zerstörerische Arbeit bekommen. Wir könnten diese Frauenfeinde jedoch als ungewollte Agenten des Staates betrachten. Unabhängig davon, ob sie tatsächlich Informanten sind oder nicht, unterstützt die Arbeit, die sie leisten, die laufende Terrorkampagne des Staates gegen soziale Bewegungen und die Menschen, die sie schaffen. Wenn queere Organisator*innen gedemütigt und ihre politischen Kämpfe ins Abseits gedrängt werden, ist das Teil eines laufenden staatlichen Gewaltprojekts gegen Radikale. Wenn Frauen wissentlich mit Geschlechtskrankheiten angesteckt, körperlich misshandelt, in Versammlungen abgewiesen, beiseite geschoben und aus radikalen Organisationsräumen verdrängt werden, während unsere Verbündeten bekannte Frauenfeinde verteidigen, machen sich die Organisator*innen an den Bemühungen des Staates mitschuldig, uns zu zerstören.

Der Staat hat bereits eine Tatsache begriffen, die die Linke nur schwer akzeptieren kann: Frauenfeinde sind hervorragende Informanten. Bevor oder unabhängig davon, ob sie jemals vom Staat rekrutiert werden, um eine Bewegung zu stören oder eine Organisation zu destabilisieren, haben sie sich schon gut mit den Praktiken des störenden Verhaltens vertraut gemacht. Sie benötigen fast keine Ausbildung und können sofort mit ihrer Arbeit beginnen. Was ist lähmender für unsere Arbeit als wenn Frauen und/oder queere Menschen unsere Bewegungen verlassen, weil sie wiederholt belogen, gedemütigt, körperlich/verbal/emotional/sexuell missbraucht wurden? Oder wenn man Gespräche über die Arbeit verschieben muss, um Gruppensitzungen der Auseinandersetzung mit der jüngsten Beleidigung eines einzelnen Mitglieds zu widmen? Oder wenn diese Person Fehlinformationen verbreitet und damit Verwirrung und Reibung unter radikalen Gruppen stiftet? Nichts verlangsamt den Aufbau einer Bewegung so sehr wie ein Frauenfeind.

Was das FBI versteht, ist, dass unsere Bewegungen ihr Potenzial, diese Welt neu zu gestalten, nie ausschöpfen werden, wenn es in aktivistischen Räumen Menschen gibt, die sich der Machtübernahme verschrieben haben und die Macht als Herrschaft verstehen. Wenn wir unsere Energien darauf verwenden, uns von dem Schlamassel zu erholen, den Informanten (und Leute, die sich wie sie verhalten) verursachen, werden wir uns nie auf die eigentliche Arbeit konzentrieren können, nämlich frei zu werden und die Art von lebensbejahenden, menschenzentrierten Gemeinschaften aufzubauen, in denen wir leben wollen. Um es mit den Worten von Bell Hooks zu sagen: Wo es einen Willen zur Herrschaft gibt, kann es keine Gerechtigkeit geben, denn wir werden unweigerlich weiterhin dieselben Arten von Ungerechtigkeit reproduzieren, gegen die wir angeblich kämpfen. Es ist an der Zeit, dass unsere Bewegungen einen radikalen Wandel von innen heraus vollziehen.

Blick nach vorn: Geschlechtergerechtigkeit in unseren Bewegungen schaffen

Radikale Bewegungen können sich die Zerstörung, die geschlechtsspezifische Gewalt verursacht, nicht leisten. Wenn wir die politischen Auswirkungen patriarchaler Verhaltensweisen in unseren Gemeinschaften unterschätzen, wird unsere Arbeit nicht überleben.

In letzter Zeit habe ich mich mit der Arbeit von Queer-Feminist*innen of Color beschäftigt, um zu überlegen, wie wir diese Verhaltensweisen in unseren Bewegungen in Frage stellen können. Ich habe die Autobiografien von Frauen gelesen, die das Chaos sozialer Bewegungen durchlebt haben, die durch Machismo geschwächt wurden. Ich greife auf die Arbeiten von Bell Hooks, Roxanne Dunbar-Ortiz, Toni Cade Bambara, Alice Walker, Audre Lorde, Gioconda Belli, Margaret Randall, Elaine Brown, Pearl Cleage, Ntozake Shange und Gloria Anzaldúa zurück, um zu sehen, wie andere Frauen geschlechtsspezifische Gewalt in diesen Räumen verhandelt haben, und um saubere oder einfache Antworten auf die Frage zu problematisieren, wie Gewalt in unseren Gemeinschaften reproduziert wird. Auch neuere Arbeiten von radikalen Feminist*innen of Color waren unglaublich hilfreich, insbesondere das Zine „Revolution Starts at Home: Confronting Partner Abuse in Activist Communities” (Revolution startet zuhause: Gewalt in Partnerschaften in aktivistischen Gemeinschaften angehen), herausgegeben von Ching-In Chen, Dulani, und Leah Lakshmi Piepzna-Samarasinha.

Aber es gibt nicht nur Bücher, sondern auch viele andere Ressourcen, um sich diesem Dilemma zu stellen. Der einfache Akt des Sprechens und Teilens unserer Wahrheiten ist eines der mächtigsten Werkzeuge, die wir haben. Ich habe mit älteren Menschen gesprochen, mit älteren Women of Color, die das erlebt haben, womit ich kämpfe, und mich mit anderen Frauen über ihre Überlebensgeschichten ausgetauscht. Im Sommer 2008 begann ich, Workshops über die Beendigung von Frauenfeindlichkeit und den Aufbau kollektiver Formen der Verantwortlichkeit mit Cristina Tzintzún, einer in Austin ansässigen Gewerkschaftsorganisatorin und Autorin des Essays „Killing Misogyny: A Personal Story of Love, Violence, and Strategies for Survival” (Frauenfeindlichkeit töten: Eine persönliche Geschichte von Liebe, Gewalt und Überlebensstrategien). Wir haben auch mit der noch befreienderen Praxis begonnen, unsere Erfahrungen öffentlich zu benennen und unsere Gemeinschaften aufzufordern, sich mit dem auseinanderzusetzen, was wir und so viele andere erlebt haben.

Der Abbau von Frauenfeindlichkeit kann nicht nur eine Aufgabe für Frauen sein. Wir alle müssen diese Arbeit leisten, weil das Überleben unserer Bewegungen davon abhängt. Solange wir nicht eine radikale feministische und queere politische Ethik, die heteropatriarchale Organisationsformen direkt in Frage stellt, in den Mittelpunkt unserer politischen Praxis stellen, werden radikale Bewegungen weiterhin von den Eskapaden der Brandon Darbys (und Leuten, die keine Informanten sind, sondern sich nur so verhalten) zerstört werden. Eine queere, radikale, feministische Ethik der Verantwortlichkeit würde uns herausfordern zu erkennen, wie geschlechtsspezifische Gewalt in unseren Gemeinschaften, Beziehungen und Organisationspraktiken reproduziert wird. Obwohl es viele Wege gibt, dies zu tun, möchte ich vorschlagen, dass es drei Schlüsselschritte gibt, mit denen wir beginnen können. Erstens müssen wir Frauen und queere Menschen in unseren Bewegungen, die zwischenmenschliche Gewalt erfahren haben, unterstützen und uns an einem kollektiven Heilungsprozess beteiligen. Zweitens müssen wir einen kollektiven Dialog darüber führen, wie unsere Gemeinschaften aussehen sollen und wie wir sie für alle sicher machen können. Drittens müssen wir ein Modell für kollektive Rechenschaftspflicht entwickeln, das das Private wirklich als politisch behandelt und uns hilft, in unseren Gemeinschaften Gerechtigkeit zu praktizieren. Wenn wir es zulassen, dass Frauen/Queer-Organisator*innen aktivistische Räume verlassen und Menschen schützen, deren Gewalt ihren Weggang provoziert hat, sagen wir damit, dass wir diese de facto staatlichen Agenten, die die Arbeit stören, mehr schätzen als Menschen, deren Arbeit Bewegungen aufbaut und erhält.

So wütend mich die geschlechtsspezifische Gewalt in der Linken auch macht, ich bin hoffnungsvoll. Ich glaube, dass wir die Fähigkeit haben, uns zu verändern und mehr Gerechtigkeit in unseren Bewegungen zu schaffen. Wir müssen keine Hexenjagd veranstalten, um Frauenfeinde und Informanten zu entlarven. Sie outen sich jedes Mal, wenn sie sich weigern, sich zu entschuldigen, die Verantwortung für ihre Handlungen zu übernehmen, Konflikte zu schüren und sich weigern, sie im Konsens zu lösen, ihre Compañer@s schlecht zu behandeln. Wir müssen nicht nach ihnen suchen, aber wenn wir mit ihren destruktiven Verhaltensweisen konfrontiert werden, müssen wir sie zur Verantwortung ziehen. Unsere Strategien müssen nicht strafend sein; die Menschen haben ein Recht auf ihre Fehler. Aber wir sollten erwarten, dass die Menschen zu diesen Handlungen stehen und nicht zulassen, dass sie zu einem Muster werden.

Wir haben ein Recht darauf, wütend zu sein, wenn in den Gemeinschaften, die wir aufbauen und die das Modell für eine bessere, gerechtere Welt sein sollen, dieselbe Art von queerfeindlicher, frauenfeindlicher und rassistischer Gewalt herrscht, die die Gesellschaft durchdringt. Als radikale Organisator*innen müssen wir uns gegenseitig zur Rechenschaft ziehen und dürfen nicht zulassen, dass Frauenfeinde in diesen Räumen so viel Macht ausüben können. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie die Gesichter, Stimmen und Anführer dieser Bewegungen sind. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie eine Compañera vergewaltigen und dann in den verdammten Fünf-Uhr-Nachrichten erscheinen. In Brandon Darbys Fall, selbst wenn niemand vermutet hätte, dass er ein Informant ist, hätte sein dominantes und machohaftes Verhalten ausreichen müssen, um seine Führungsrolle in Frage zu stellen. Wenn wir nicht zulassen, dass Frauenfeindlichkeit in unseren Gemeinschaften und Bewegungen Wurzeln schlägt, schützen wir uns nicht nur vor den Bemühungen des Staates, unsere Arbeit zu zerstören, sondern schaffen auch stärkere Bewegungen, die nicht von innen heraus zerstört werden können.


1. 

Anmerkung des Übersetzers (A.d.Ü.): Das FBI soll für das Verständnis ganz grob vergleichbar mit dem deutschen Verfassungsschutz sein.

2. 

A.d.Ü.: Das sind die Nominierungsparteitage der Republikanischen Partei.

3. 

A.d.Ü.: Gemeint sind die Betroffenen vom Hurricane „Katrina” 2005, der massivste Verwüstung angerichtet hatte.

4. 

A.d.Ü.: Englisches Original: Department of Homeland Security.

5. 

A.d.Ü.: George W. Bush im Irak.

6. 

Ich verwende den Begriff geschlechtsspezifische Gewalt, um auf die Art und Weise hinzuweisen, in der Homophobie und Frauenfeindlichkeit in heteronormativen Auffassungen von Geschlechtsidentität und Geschlechterrollen verwurzelt sind. Heterosexismus unterdrückt nicht nur nicht-normative Sexualitäten, sondern reproduziert auch normative Geschlechterrollen und -identitäten, die die Logik des Patriarchats und männliche Privilegien verstärken.

7. 

Dies erfuhr ich aus informellen Gesprächen mit Frauen, die sich mit Darby in Austin und New Orleans organisiert hatten, als sie an der Austin Informants Working Group teilnahmen, die von Leuten gebildet wurde, die mit Darby zusammengearbeitet hatten und von seiner Enthüllung, dass er ein FBI-Informant war, fassungslos waren.

8. 

A.d.Ü.: Mysogenie ist in diesem Text mit Frauenfeindlichkeit übersetzt. Geschlechterspezifische Feindbilder dienen der Machterhaltung des Patriarchats. Ebenso zählen dazu auch Transfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit und Homophobie.

9. 

A.d.Ü.: Mexikanische Amerikaner. Chican@ anstelle der männlichen Form Chicano oder weiblichen Chicana.