Akten für Alle!

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Anmerkung von No Trace Project: 2021 wurde mit dem Aufruf „Akten für Alle!” zur Veröffentlichung von Akten ermutigt: „Ermittlungsmethoden, Datenerhebungen, Konstrukte, Technologien, Fehler und Strategien der Repressionsbüttel können zugänglich gemacht werden, indem für euch und uns relevante Analysen von Akteninhalte veröffentlicht werden.” Die gegenwärtige Sammlung umfasst den Aufruf, sowie verschiedene Texte, die als Antwort darauf erschienen sind.

Akten für Alle!

Anmerkung von No Trace Project: Dieser Text wurde am 26. Februar 2021 auf de.indymedia.org veröffentlicht.

Einige saßen oder sitzen vor Akten der Repressionsbehörden, oder werden das in Zukunft tun müssen. Traurig aber wahr! Während die Bullen beim herumschnüffeln hinter ihren Akten verstauben, möchten wir diese nutzen um für zukünftige Widerstandsmomente zu lernen. Ermittlungsmethoden, Datenerhebungen, Konstrukte, Technologien, Fehler und Strategien der Repressionsbüttel können zugänglich gemacht werden, indem für euch und uns relevante Analysen von Akteninhalte veröffentlicht werden. Wir ermutigen zur allgemeinen Inspektion der Repressionsbehörden, um ihnen auf die Schliche zu kommen. Und um sie im selben Moment kalt abblitzen zu lassen.

Sie wollen uns vereinzeln und wir denken, dass niemand mit Repression alleine bleiben sollte. Deshalb könnten Veröffentlichung, sowie kollektive Aufarbeitung von Akteninhalten und Repression von Bedeutung sein.

Egal was, wie und warum die feindlichen Behörden ermitteln: Alles könnte interessant sein. Falls ihr euch dafür entscheidet, bleibt nicht allein damit, besprecht mit Freund*innen, Bekannten, in euren Affinitäts- und Bezugsgruppen, was und wie ihr veröffentlicht!

Um einen Rahmen der Aktualität zu geben, sowie Spekulationen und Gequatsche zu vermeiden, haben wir uns folgende Kriterien für Veröffentlichungen überlegt (können gerne ergänzt werden):

Viel Spaß!

Die lange Suche nach einem Rucksack

Anmerkung von No Trace Project: Dieser Text wurde am 15. Mai 2021 auf de.indymedia.org veröffentlicht.

Wir finden die Idee sich die Arbeit der Bullen auszuwerten durch Aufarbeitung von Akten gut. Wir wissen, dass Veröffentlichungen aus Akten weitere Repression nach sich ziehen kann. Wir finden diesen Schritt richtig um Erfahrungen auszutauschen und zu lernen.

An einem Aktionsort wurde ein Rucksack gefunden, der von den Bullen durch den Inhalt der Aktion zugeordnet wurde. Wir wollen zeigen, welchen Aufwand die Bullen betrieben, um heraus zu bekommen wo dieser Rucksack gekauft wurde. Die Aktion war ein Feuer, mit großem Sachschaden. Der Ermittlungsdruck in diesem Fall war sehr hoch, daher auch der große Aufwand der Ermittlungen.

Die Bullen forderten u. a. in einer TV-Sendung dazu auf, Hinweise zur Herkunft des Rucksacks zu melden. Die Bullen suchten nach Hi nweisen Läden auf um zu schauen ob ein solcher Rucksack dort verkauft wird. Der Chef einer Firma erwähnte, dass es sich bei dem Rucksack wahrscheinlich um Aktionsware handeln könnte und diese meist in Restpostmärkten vertrieben wird. Aljährlich findet eine Messe statt, bei der Vertreter*innen der deutschen Restpostenmärkte anwesend sind und Aktionsware bestellen. Die Bullen besuchten diese Messe und alle Händler*innen wurden zu dem Rucksack gefragt. Zusätzlich gab es Photos. Niemand dort, bot diesen Rucksack an… Ein Händler gab nach Vorlage des Fotos an das Logo des Rucksacks zu kennen. Bei dem Logo handele es sich um einen Fantasienamen als Logo für Textilien, die in Land A hergestellt werden. Diese Waren werden von keinem*keiner Händler*in auf der Messe angeboten, weil es dafür einen eigenen Markt gibt. Händler sagte er hätte Rucksäcke mit diesem Logo in einer gewissen Stadt in einem Großmarkt gesehen. Er war sich sicher, dass der Rucksack aus Land A kommt. Eine zweiter Importer von Rucksäcken ist Land B. Dass es sich beim Rucksack aber um Ware aus Land B handelt schloss er aus. Vor allem, weil die Reißverschlüsse nicht in Land B vernäht würden. Es sind typische Reißverschlüsse aus Land A. Außerdem nehmen die Land B Hersteller*innen dieses Logo nicht.

Nach weiteren Ermittlungen ergab sich, daß es diesen Großhandelsmarkt in mehreren großen Städten gab. Der Großhandelmarkt einer Stadt wurde dann von den Bullen besucht. Der Rucksack konnte auch dort nicht gefunden werden. Laut Bullen ist es trotzdem vorstellbar, dass dieser Rucksack über diesen Großmarkt geliefert wurde. Bei einer Händlerin konnte ein Rucksack festgestellt werden, der auch mit einem Fantasielogo versehen war und dem Logo des gesuchten Rucksacks ähnlich sah. Dieser Rucksack wurde in Land A produziert. In dem Großhandelmarkt kaufen nicht nur Endverbraucher*innen, sondern auch Händler*innen, die Geschäfte in der Innenstadt haben. Wenn der Rucksack wirklich über diesen Großmarkt geliefert wurde, könnte er auch bei allen Läden, die ihre Ware über diesen Markt beziehen, verkauft worden sein.

Da für die Bullen fest stand, dass es sich bei dem Rucksack um ein Produkt aus dem Ausland handelt, wurde auch das Hauptzollamt Stadt X benachrichtigt. Die Zollfahndungsämter und die Zentralstelle Gewerblicher Rechtsschutzs (ZGR) in München wurden gefragt. Es gab keine Erkenntnisse zur Herkunft des Rucksacks.

Wir stellen fest, dass die Herkunft des Rucksacks bis zum Ermittlungsende nicht eindeutig geklärt werden konnte. Die Bullen schlußfolgern daß der Rucksack in einem kleinen Geschäft in der Innenstadt mit Billigprodukten aus Land A und B gekauft wurde. Sie meinen, dies aus den Aussagen des Händlers auf der Messe in Richtung einer Stadt und wegen der Indizien, u.a. ein Rucksack mit ähnlichen Schriftzug sei indem dortigen Großhandelsmarkt festgestellt worden, folgern zu können.

Laut den Akten wurden auch Kartonstreifen am Aktionsort hinterlassen. Auch hier betrieben die Bullen großen Aufwand, um die Herkunft zu ermitteln.

Die Bullen haben eine Aufschrift auf einen Kartonstreifen gefunden und auf einem Streifen fanden sie eine Firmenadresse. Die Ermittlungen der Bullen führten schließlich zu einer Exportfirma in Land C. Diese Firma konnte bestimmen, was im Karton geliefert wurde und auch, wohin in einem Zeitraum geliefert wurde. Es gab nur ein Großhändler, der die Ware in einer Stadt zu diesem Zeitpunkt geliefert bekam. Zufälligerweise gab es einen Brand und die Lieferscheine wurden zerstört. So war es nicht mehr möglich fest zu stellen, an welche Kleinhändler*innen die Kartons innerhalb der Stadt beliefert wurden. Somit konnte die genaue Herkunft der Kartonstreifen nicht bestimmt. Laut Bullen sprechen auch hier die Indizien laut Bullen für eine bestimmte Stadt.

Weder für den Rucksack noch für die Kartonstreifen ließ sich trotz großen Aufwand der genaue Herkunftsort feststellen. Allerdings nutzen sie die Indizien, die auf eine bestimmte Stadt angeblich hindeuten und andere „Hinweise” dazu, in dieser Stadt weiter zu ermitteln.

Erste Schritte der Ermittlungsbehörden

Anmerkung von No Trace Project: Dieser Text wurde am 10. September 2021 auf de.indymedia.org veröffentlicht.

Einleitung

Finden wir eine informative Idee, um Ermittlungsakten und die Schnüffelei der Behörden anonym zu veröffentlichen. Wir sind Menschen, die öfters mal Akten in die Hände bekommen. Wir haben in dem vorliegenden Schriftstück versucht so gut wie möglich erste Ermittlungsschritte der Behörden darzustellen.

Dies ist eine Auswertung von Ermittlungsakten. Es geht dabei um Ermittlungen, die zwischen 2009 und 2016, jeweils nach linksradikalen/autonome Aktionen, bei denen Feuer großen Sachschaden verursachte, durchgeführt wurden. Im Folgenden geht es um die ersten Ermittlungsschritte der Cops.

Wichtig dabei ist, dass uns nur ein Teil der Akten zu Verfügung stand und dass auch in diesen Teilen nur das steht, was dieErmittlungsbehörden uns wissen lassen wollen. Zusätzlich sind die Aktionen, um die es geht, schon einige Jahre her. Das Beschriebene lässt sich deshalb nicht ohne weiteres auf heutige Ermittlungen übertragen. Auch sollte davon ausgegangen werden, dass Ermittlungsbehörden in verschiedenen Bundesländern teilweise verschieden vorgehen. Deshalb ist das Folgende nur eine Beschreibung dessen, was wir aus den unsvorliegenden Aktenteilen herauslesen können. Trotzdem erscheint es uns wichtig und hilfreich, diese Informationen über Ermittlungsschritte zu veröffentlichen.

Erste Schritte

Die Cops fotografierten als einen der ersten Schritte das jeweilige Gelände und sammelten Gegenstände ein, um diese auf Fingerabdrücke und DNA-Spuren zu untersuchen. Hier wurden sowohl Gegenstände eingesammelt, die als Tatmittel vermutet wurden, als auch Gegenstände, bei denen vermutet wurde, dass sie von den „Täter*innen” zurückgelassen wurden (wie Zigarettenreste). In einem Fall wurden nicht abgebrannte Brandsätze gefunden. Bei diesen wurde später der genaue Aufbau und die Mischung der brennbaren Flüssigkeit analysiert. Bei größeren Aktionen versuchten die Ermittlungsbehörden zu recherchieren wo einzelne Bestandteile der Brandsätze gekauft wurden, ebenso wurden Werkzeugspuren mit Spuren an anderen „Tatorten” abgeglichen.

Szeneorte

Bei einer Ermittlung wurden an den zwei folgenden Tagen nach der Aktion bekannte „Szeneorte aufgeklärt”, dabei wurde überprüft welche Personen und Fahrzeuge sich dort aufhielten.

Hunde

In einem Fall wurde bereits eine Stunde nach Entdecken des Brands ein Fährtenhund angefordert, der dann noch am selben Tag das erste Mal eingesetzt wurde. Geruchsträger für den Hund war dabei eine Kompresse mit Abrieb eines Gegenstandes, bei dem vermutet wurde, dass er von den „Täter*innen” zurückgelassen wurde. Ziel des Einsatzes war es, Wege der „Täter*innen” zu finden und zu verhindern, dass Beweismittel übersehen werden. Hier ging es also eher um den Nahbereich. Etwa eine Woche später wurden dann Personen- und Vermisstenspürhunde (PSH) eingesetzt. Diese erhielten den gleichen Geruchsträger und starteten an der Stelle, an der mit dem ersten Hund aufgehört wurde. Hier ging es dann darum mögliche Fluchtwege der „Täter*innen” über den Nahbereich hinaus zu finden und zu verfolgen.

Videoauswertung

Teilweise noch während der Tatortauswertung wurden Videoaufzeichnungen verschiedener Handelseinrichtungen angefordert, bzw. wurden diese aufgefordert ihre Videoaufzeichnungen zu sichern. Ein besonderer Fokus lag dabei auf Tankstellen im Umfeld zum Zeitpunkt der Aktion sowie an einem anderen Tag, an dem Zeug*innen „auffällige” Personen in der Nähe beobachteten. Ausgewertet wurden die Videos nach Personen und Fahrzeugen (wobei hier Halter*innenabfragen stattfanden und teilweise Überprüfungen in den polizeilichen Informationssystemen). Sowie nach Besonderheiten (z.B. dem Nutzen von Kanistern). Auch die Aufnahmen von verschiedenen Banken, bzw. Geldautomaten wurden angefordert. Ein weiterer Fokus lag auf den Geschwindigkeitsmess- und Verkehrsüberwachungsanlagen. Die zentralen Bußgeldstellen mehrerer Bundesländer wurden nach allen Blitzer-Fotos bestimmter Zeiträume angefragt. Diese Fotos wurden ausgewertet. Auch hier wurden die Halter*innendaten angefordert und im polizeilichen Recherchesystem überprüft, ob Erkenntnisse zu den jeweiligen Personen vorlagen. Auch wurde ein Abgleich der Halter*innendaten mit den Daten aus der Funkzellenauswertung vorgenommen. Wenn die Personen bereits polizeilich bekannt waren und besonders wenn staatsschutzrelevante Informationen vorlagen, wurden sie intensiver überprüft. Blieb den Cops unklar warum sich eine Person in dem bestimmten Zeitraum in der Gegend aufhielt, wurden sie vernommen. Die Blitzer-Bilder und -Daten wurden auch mit anderen Spuren abgeglichen. Wurde z.B. von Zeug*innen ein Auto mit einer Auffälligkeit beobachtet, wurden die Bilder nach einem Auto mit dieser Auffälligkeit durchsucht. Oder es wurden Bilder von Blitzern mit Videos von Tankstellen verglichen.

Funkzellenauswertung

Bei einer Funkzellenauswertung werden Verkehrsdaten zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Funkzelle erfasst. In den vorliegenden Akten wurden Funkzellenerhebungen zu den jeweiligen „Tatzeiten” sowie zu Zeiten in denen Zeug*innen „Auffälliges” beobachteten durchgeführt. Die Datensätze geben Auskunft über Telefongespräche, Verbindungsversuche, versendete SMS, Verbindungen mit dem Internet und Verbindungen mit sogenannten Servicenummern. Dabei werden sowohl die Telefonnummern als auch die Gerätenummer übermittelt. Zumindest bei einigen der Aktionen fand ein Abgleich mit anderen Aktionen auf gleiche Unternehmen in anderen Städten statt. Dabei wurde nach Nummern gesucht, die an mindestens zwei der Aktions-Orte in den zugeordneten Funkzellen eingebucht waren oder aus diesen Funkzellen angerufen wurden.

Wahrnehmbarkeitsbereich — Zeug*innen

Mit dem Begriff des Wahrnehmbarkeitsbereich wird das Beschrieben was Zeug*innen (z.B. Anwohner*innen oder Wachleute) in Bezug auf eine Aktion eventuell wahrnehmen konnten, also Zeug*innenbeobachtungen. Befragt werden Menschen die sich zum „Tatzeitpunkt” in der Nähe aufhielten (z.B. auf einem Fest), Wachleute, Anwohner*innen oder Taxiunternehmen. Teilweise meldeten sich Zeug_innen von sich aus um eine Aussage zu machen. In den vorliegenden Akten wurden in einem Fall am Tag nach einer Aktion über 40 Anwohner*innenbefragungen durchgeführt. Die Aktion, um die es geht, wurde in einer Kleinstadt durchgeführt. Mehrere Zeug*innen gaben an, an verschiedenen Tagen vor der Aktion „auffällige” Personen in der Nähe des späteren „Tatorts” beobachtet zu haben. Als „auffällig” wirddabei sowohl einfach das anwesend sein von unbekannten Personen beschrieben, als auch Verhalten wie sich hinter Büschen zu ducken, oder das Nutzen ungewöhnlicher Wege durch Gestrüpp. Die Beschreibungen blieben vage und auf Nachfrage betonten die Zeug*innen meist, die beobachteten Menschen nicht Wiedererkennen zu können. Mehrmals wurde durch Zeug*innen auch auf „auffällige” Autos hingewiesen, die beispielsweise an Stellen parkten an denen normalerweise keine unbekannten/auswärtigen Autos parken. In einem Fall notierte sich ein Zeuge sogar das Kennzeichen eines solchen Fahrzeugs. Auch Autos, die zum Zeitpunkt der Aktion unterwegs waren, wurden von Zeug*innen später beschrieben. Die Cops betrieben im Laufe der Ermittlungen teilweise großen Aufwand diese Autos zu finden, bzw. Menschen zuordnen zu können. Alle Zeug*innenbeobachtungen, die den Cops irgendwie relevant erschienen, wurden als einzelne Spuren verfolgt.

Krankenhäuser

Da die Cops nach einer Aktion nicht abgebrannte Brandsätze fanden, folgerten sie, dass es ja sein könnte, dass sich Menschen bei der Aktion verletzt hätten. Aufgrund dieser Annahme führten sie auf der Suche nach Menschen mit Brandverletzungen Befragungen von Mitarbeiter*innen mehrere Notaufnahmen von Krankenhäusern in der Umgebung durch.

Nach den ersten Ermittlungsschritten

Nach den ersten hier beschriebenen Ermittlungsschritten folgten laut den vorliegenden Akten viele weitere: u.a. Observationen, erneutes Einsetzen von Hunden, Telekommunikationsüberwachungen. Wobei keine der vermeintlichen Spuren ausreichte um Menschen für die durchgeführten Aktionen anzuklagen.

Funkzellenauswertung du mieses Stück Scheiße

Anmerkung von No Trace Project: Dieser Text wurde am 7. Juni 2022 auf de.indymedia.org veröffentlicht.

Mit diesem Text wollen wir uns an der Veröffentlichung von Aktenwissen beteiligen, die in ein paar Indymedia-Beiträgen bereits begonnen wurde. Unser Beispiel dreht sich um die Funkzellenauswertung. Im Kern ist das Vorgehen der Bullen dabei dasselbe, wie auch in den letzten 10 oder mehr Jahren. Die beschriebenen Vorgänge haben so natürlich nie stattgefunden, sondern sind von uns anhand der eigentlichen Geschichte zusammen gesponnen worden.

Angenommen, irgendwo ist etwas passiert. Zum Beispiel hat sich eine Autokolonne von Faschist*innen etwas eingefangen, nachdem sie ihre Autos auf einem öffentlichen Parkplatz geparkt haben und wandern gegangen sind. Nun setzen sich die Bullen an ihre fein säuberlich sortierten Schreibtische und beginnen zu ermitteln. Als erstes schreiben sie eine Anzeige wegen Verstoßes gegen § 125a — besonders schwerer Fall von Landfriedensbruch.

Wie so oft ist das allererste, was sie am Tatort machen, eine Funkzellenabfrage. Sie schauen, welche Funkzellen verfügbar sind und suchen sich dann diejenige heraus, die den Parkplatz und die unmittelbare Umgebung abdeckt. Für ihre Datenabfrage von einer Stunde vor bis zu einer Stunde nach dem Zeitpunkt des Verbrechens erhalten sie 50.000 Datensätze, weil es Wochenende ist und der Parkplatz in der Nähe eines beliebten Touristenziels liegt.

Jetzt haben sie eine Tabelle vor sich, in der sie sehen können, welche Nummern sich in den zwei Stunden in die Funkzelle eingeloggt haben. Anhand der IMEI-Nummern erhalten sie auch Informationen darüber, welche Geräte verwendet wurden. Außerdem können sie erkennen, ob die in der Funkzelle befindlichen Nummern angerufen wurden oder selbst Anrufe getätigt haben.

Einige der Nummern können die Polizisten aus dem Kreis der Verdächtigen ausschließen, weil sie sie den Nazis selbst zuordnen können, die mit anderen Ankommenden telefoniert haben, die bereits vor Ort waren. Damit haben die Polizisten aber nun eine annähernd genaue Ankunftszeit der Faschist*innen vor Ort. Der nächste Schritt ist, alle Nummern zu überprüfen, die in unmittelbarer Nähe der Ankunft angerufen haben. Diese könnten nun als Aufklärer des Angriffs betrachtet werden. Die Polizisten gehen zum Beispiel davon aus, dass es zwei Späher gab, die miteinander kommuniziert haben. Dann, so ihre Überlegung, müssten beide mit den eigentlichen Angreifern in Kontakt treten, um ihre Erkenntnisse über die Autos der Nazis weiterzugeben. Sie filtern also alle Nummern, die bisher für einen Kontakt mit anderen oder denselben Nummern in Frage kamen. Ein Muster könnte zum Beispiel wie folgt aussehen:

Die Polizisten interpretieren nun: Nummer 1 ist in der Funkzelle, also ist es Aufklärer 1. Nummer 2 ist nicht in der Funkzelle, wird aber als Kontakt angezeigt, also könnte es der Angreifer sein. Das bestätigt sich für sie, denn sie sehen, dass Nummer 3 auch mit Nummer 2 Kontakt hatte. Nummer 3 könnte vielleicht der zweite Späher sein.

Da der Parkplatz teilweise videoüberwacht ist, sehen sich die Polizisten nun die Bänder an. Einerseits sehen sie, wie sich etwa 20 hakenkreuztätowierte Nazis zur Wanderung treffen, andererseits sehen sie, wie ebenso viele mutige, gut vermummte Antifaschist*innen später ihre Fahrzeuge unbrauchbar machen. Was sie nicht sehen, ist, dass eine verdächtige Person einen Anruf tätigt. Zu ihrem Pech hatten sie eigentlich gehofft, dass sie die Personen am Telefon anhand der Aufnahmen erkennen könnten. Anhand der IMEI-Kennung, die sie aus den Funkzellendaten zu den Nummern 1, 2 und 3 ermittelt haben, wissen sie, dass es sich um die Geräte Samsung 1234, Nokia 4321 und Siemens 2134 handelt. Anhand des Kameramaterials wollten sie nun vergleichen, ob es vor Ort Personen gibt, die mit ähnlich aussehenden Geräten telefonieren, um weitere Verdachtsmomente zu erhalten.

Leider sind sie noch nicht am Ende ihrer Ermittlungen angelangt.

In einem zweiten Schritt gehen sie hinaus und befragen alle Nazis ausführlich zu ihrem Tagesablauf. Zwei der vier Autoinsassen geben nun an, dass sie sich in ihrer Stadt vor einem Nazihaus getroffen haben. Die Polizisten nutzen dies als Ausgangspunkt für eine weitere Funkzellenabfrage. Sie stellen fest, dass sich eine Nummer 3 um die Zeit des Nazitreffens in die Funkzelle 2 einwählt. Die Nummer 3 ruft in kurzen Abständen die Nummer 1 an. Die Polizisten schließen daraus, dass es sich bei Nummer 3 um eine*n Späher*in handeln muss, der in kurzen Abständen eine*n andere*n Späher*in über die Ankunft mehrerer Nazis am Ort informiert. In diesem Beispiel taucht Nummer 3 danach nicht wieder auf. Die Polizisten haben nur zwei Funkzellen kontrolliert (1: Parkplatz, 2: Nazi-Haus) und nur in Funkzelle 2 wurde Nummer 3 in diesem Beispiel gesichtet. Sie sehen jedoch, dass Nummer 1 sich ebenfalls in Funkzelle 1 einwählt und mit Nummer 2 telefoniert. Auch hier schließen die Polizisten,

Das allein hilft ihnen natürlich nicht wirklich weiter. Sie glauben nun zu wissen, dass der Anschlag von drei koordinierenden Teams verübt wurde. Aber sie könnten genauso gut Zeug*innen eines anderen Ereignisses sein, das nur so aussieht. Klarer wird es für sie erst, wenn sie beim Provider jede der drei Nummern abfragen. Der Anbieter stellt ihnen nun alle verfügbaren Daten seit Beginn der Aufzeichnungen zur Verfügung. Jetzt können die Bullen z.B. sehen, wer hinter den Nummern steckt, seit wann die Telefone benutzt wurden und ob sie noch aktiv sind. Je nachdem wissen sie nun, ob es sich um Max Mustermann handelt, der offiziell in der Nähe des Nazihauses wohnt und seit Jahren den gleichen Anschluss nutzt. Oder sie sehen, dass sich hinter den Nummern falsche Namen verbergen, die die Sim-Karten erst vor einem Monat registriert haben.

In der Hoffnung, nun doch noch einen großen Fang zu machen, schauen sich die Polizisten beim Nazi-Haus um. Sie bemerken, dass gegenüber ein Dönerimbis besten Kebab anbietet. Sie gehen dort vorbei und entdecken, dass der Betreiber sein Lokal mit einer Videokamera überwacht. Auf Nachfrage finden sie jedoch heraus, dass die Kamera angeschafft wurde, weil es regelmäßig Stress mit den Nazis von der anderen Straßenseite gibt. Da der Überfall auf die Karren bereits drei Monate zurückliegt, sind die Kameraaufzeichnungen bereits unwiederbringlich gelöscht und die Polizisten tappen weiter im Dunkeln.

Das Beispiel hier ist fiktiv. Es soll nur grob veranschaulichen, wie die Polizei einen Datensatz aus einer Funkzellenabfrage für die Ermittlungen nutzen kann. Die Funkzellenabfrage ist mittlerweile ein absoluter Standard in der Ermittlungsarbeit. Auf netzpolitik.org finden Sie zahlreiche Listen, wann, in welchem Bundesland und wie viele Maßnahmen dieser Art durchgeführt wurden.

Natürlich lässt sich das hier angeführte Beispiel noch weiter ausdehnen. Geht man zum Beispiel davon aus, dass alle zukünftigen Verbindungsdaten durch eine Abfrage beim Telekommunikationsanbieter abgefragt werden, ergeben sich eine Reihe weiterer Gefahren. Wenn das Telefon weiter genutzt wird und andere Nummern kontaktiert, werden auch diese in die Ermittlungen einbezogen. Im schlimmsten Fall erhalten sie auch Informationen über den Wohnort oder den regelmäßigen Aufenthaltsort der Person, die das Mobiltelefon benutzt.

Im Umgang mit Handys bei Aktionen ist Vorsicht geboten. Möglichst viel Kommunikation sollte einfach von Angesicht zu Angesicht stattfinden. Weitere Wege, umständlichere Absprachen usw usf. sind besser als erwischt zu werden. Wo es nicht anders geht, sollten wir alle im Kopf behalten, was Handys alles über ihre Benutzer*innen preis geben